Erste Gedanken
Ich schreibe diese ersten Zeilen für diese Website in düsteren Zeiten. Das Unvorstellbare ist eingetreten, es gibt einen Angriffskrieg mitten in Europa, und die Hoffnung das diplomatische Lösungen gefunden und eine Ausweitung des Konfliktes verhindert werden könnten, verblasst von Tag zu Tag.
In den ersten Kriegstagen habe ich an einer Überarbeitung der Stückfassung gesessen, und die Parallelen des Stückes zur Realität in Europa könnten nicht ähnlicher sein. Mit Macbeth ist ein König an der Macht, der Angst hat, diese zu verlieren und bereut, was er und seine Frau alles getan haben, um an eben diese Macht zu kommen. Doch es gibt kein Zurück mehr. Für Putin gibt es nun auch kein Zurück mehr – und das ist eben das Gefährliche an den Konflikten im Stück, aber auch im Hier und Jetzt.
Meine Inszenierung von Macbeth habe ich als Liebe zum Theater konzipiert und vor allem für ein junges Publikum, das das Theater als einen Ort der Inspiration, der Fantasie und als gesellschaftlichen Spiegel entdecken und erobern soll: das Theater als gemeinsames Erlebnis und doch des individuellen Entdeckens und Interpretierens. Ich könnte nun die derzeitige politische Situation deutlich in die Textfassung einarbeiten, aber ich möchte dem Publikum nicht vorschreiben, was es zu denken oder in dem Stück zu sehen hat.
Für mich ist Macbeth ein dunkles, blutiges Märchen, eine Metapher für so viel mehr als nur die Machtgeilheit eines Usurpators. Es steckt so viel Menschlichkeit in Shakespeares Werk, Schwäche und Stärke, und wir sehen ja gerade heute, dass es neben Krieg und Hass auch eine große Solidarität und den unbändigen Wunsch nach Frieden und Akzeptanz gibt.
Ist es vielleicht das, was das Ehepaar Macbeth sucht, einen inneren Frieden, den sie sich in einer höher gestellten Position versprechen? Dafür würden sie über Leichen gehen und hoffen auf die flexibelste und ausgeklügeltste Eigenschaft menschlichen Handelns – das Verdrängen.
All diese menschlichen Widersprüchlichkeiten sind in unserem Wesen vorhanden. Ein altes indianisches Sprichwort sagt, dass in uns zwei Wölfe hausen, ein guter und ein böser – und der Wolf, der am meisten gefüttert wird, wird den anderen dominieren.
Egal ob jung oder alt – diese universellen Themen sprechen uns alle an. Und durch diese Erfahrungen bzw. diesen Spiegel unserer menschlichen Entscheidungen lernen wir uns selbst kennen und sehen uns als Teil einer Gesellschaft, mit der Verantwortung nicht nur für uns selbst.
Wir leben in einer Zeit der Selbstbezogenheit. Erfolg, Geld und Macht haben und das ohne viel Risiko oder Arbeit – das wird uns von Influencer*innen in aller Welt vorgespielt. Ein „absurdes Theater“, was den Zusammenhalt in einer Gesellschaft spaltet und uns zu Egomanen macht, die eben auch über Leichen gehen, oftmals zum Glück nur sprichwörtlich.
Sicher hat Shakespeare Macbeth nicht für heutige Generationen geschrieben, aber es schwingt eben viel Heutiges in seinem Werk mit. Deswegen haben seine Stücke auch Jahrhunderte überdauert und eignen sich gut, dabei noch Sprache zu entdecken und eben auch das Theater. Er hat für alle Bevölkerungsgruppen geschrieben und verbindet sie so miteinander.
Wer sind wir, und was macht uns aus? Diese elementaren Fragen sind zwingend für unsere Entwicklung, vor allem in unserer Jugend, wenn wir endlich die Schule verlassen dürfen und beginnen, unser eigenes Leben zu gestalten. Welche Wünsche haben wir? Wie gehen wir mit Erfolg oder Verlusten um, wie mit Trauer oder Freude, wie mit Liebe oder Hass? In Macbeth sehen wir einen dunklen Weg, einen Weg der klar in den Abgrund führt, wenn wir Dinge einfach ausblenden, sie mit Gewalt erzwingen und halten wollen. Am Anfang wird Macbeth gefeiert als Teil einer Gemeinschaft – er sieht nicht das, was er ist und was er hat. Er sieht nur das, was er nicht ist und was er nicht hat. Von den Hexen eingeflößt, dass er zu Höherem bestimmt ist, nimmt sein Schicksal dessen Lauf.
Nun möchte ich Influencer*innen nicht als moderne Hexen bezeichnen, aber auch sie „flüstern“ uns Dinge ein, die meistens mit wunderschönen Filtern überzogen sind, und uns träumen lassen. Doch das wahre Glück liegt eben nicht in der Virtualität oder im plumpen Wunsch nach Reichtum oder Macht – es liegt in uns selbst und in dem, was uns ausmacht.
Man nehme Macbeth als abschreckendes Beispiel, lasse sich faszinieren von einer gewaltigen Sprache und einer hoffentlich ebenso gewaltigen Theateraufführung. Lasst den guten Wolf in uns dominieren, richtet den Blick in euch hinein und dann wieder hinaus, für eine offene Gesellschaft und einem respektvollen Miteinander. Dann wird daraus wahrer Reichtum, der hart umkämpft ist – Frieden.
Christian Friedel
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